Sylvia Taraba
Akte an Barren
Gottfried Bechtold zeichnet „Akte“ - an Barren und Reck unbedarft Gymnastik treibend. Ganz bei sich. Unter Glühbirnen Onanierende. Unter Lustern schlaff an Ringen hängend, oder mit Reifen spielende Frauen. Wesen von Leibesfülle und Körperlichkeit. Allein, zu zweit zu dritt. Flach auf dem Boden liegend, hoch gestreckt das Bein. Entrückt Mobiles betrachtend. Hockend im Zeigemodus. Sich selbst inspizierend. Unter Kronleuchtern auf allen Vieren durchs Geviert fensterloser Wände kriechend. Auch mal perspektivisch Courbets Nahaufnahme L’Origine du Monde gebend. Für einander Tanzende, zu Zumtobelleuchten emporblickende Träumende - oder auf Treppen sitzend, wie von ungefähr ihre Geschlechtsmerkmale ertastend. Und einzelne kühne Versuche von Sprüngen... Darf einer Frauen heute so darstellen?
„Was will das Weib?“ - der „dunkle Kontinent“, - das „kastrierte“ Geschlecht mit dem „Penisneid“?? Freuds dahingestellt gebliebene Frage, ist sie nicht längst beantwortet? Oder „ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, seine Gründe nicht sehen zu lassen“ (Nietzsche)? Bechtold misogyn? Oder bedient er intuitiv die zerologische Metapher, die Quelle aller Poesie?
„Was will das Weib?“ so fragte Freud vor 100 Jahren. Doch schon Hegel hatte sich diese Frage 100 Jahre vor Freud in der Phänomenologie des Geistes spekulativ und empirisch beantwortet. Sein dialektisch nachvollziehbarer Befund, der das verstellte Wesen und das unterirdische Wirken des Weibes zum Thema machte, ist - Zeit bedungen - über dessen Unversöhnlichkeit und Intrigantentum als „ewige Ironie des Gemeinwesens“, dessen Ambivalenzen und Zweischneidigkeiten in der Unterweisung des Nachwuchses, nicht hinaus gelangt.
Freuds unentscheidbare Definition weiblicher Existenz – sind wir heute nicht längst weit darüber hinaus? Hat sich nicht maßgebliches geändert? Oder konnte sich das Weibliche in Gestalt empirischer Frauen, qua einer perfekten äußeren Anpassung an die Erfordernisse patriarchalischer Strukturen, nur tiefer in sich selbst verbergen?
Bewegt durch die aufklärerischen Marken „Emanzipation“ und „Feminismus“ und begleitet vom bestechenden Gestus der Neutralisierung und weitgehender Aufhebung der Geschlechterdifferenz im Schutz des Staates, gelang es empirischen Frauen, massenhaft in männliche Domänen bis knapp unter die Glasdecke vorzudringen. Und nun? War das wirklich ihr Begehr? Oder nur die Voraussetzung und Möglichkeit mit irgendetwas anzufangen? Nicht nur ausgebildet und gebildet sein, sondern den eigenen Geist, die eigene Arbeit einzubringen? Endlich den Lebensunterhalt verdienen, den sie verdient? Damit wieder in die von ihr verlassenen Sphären nicht mehr vorstellbarer Macht zu gelangen? Und dann?
G.B.’s ungelenk agierende „Akte“ scheinen sich all diese Fragen nicht zu stellen. Im Gegenteil. Sie stellen eine Zumutung dar, schon wegen ihrer massiven Fülle und aufdringlichen Körperlichkeit, und der bildhaften Andeutung einer gewissen Ungelehrigkeit oder Unbelehrbarkeit. Vollschlank bis fettleibig ignorieren sie die Vorbilder knabenhaft-weiblicher Wesen, die, unter der Hypnose homosexueller Coutouriers - als a-sexuell erscheinende Außerirdische - durch die Magazine und über die Laufstege stöckeln. G.B.’s Akte scheinen keinerlei intellektuelle Ambition und keinen Willen zur Macht zu haben. Sie scheuen weder den mentalen noch den physischen Verfall, und pflegen aber auch kein evidentes Nahverhältnis zur Natur. Nur zu sich, ihrem nackten Selbst. Worin besteht es?
G.B. zeichnet mit krudem Strich und träge fließenden Ausbuchtungen die archaischen Leiber vergessener Göttinnen, die alles vergessen haben. Sie erscheinen wie geistig Befangene in den klammen, engen Kammern des patriarchalischen Serails, wo sie ihr Dasein fristen. Sie stellen sich dumm, schauen nicht her, bei ihren ungerührten Aktivitäten. G.B. zeichnet seine Akte in einer Art, wie wir uns Frauen kaum vorstellen. Stellt sie dar in Zeitlupe, wie sie - auf Grund von Multitasking - nur noch selten anzutreffen sein dürften. Und auch nicht so, wie „Akte“ bisher klassisch modern „gemacht“ wurden: als passiv Liegende, Sitzende, Stehende. Auch nicht so, wie die als extrem fordernd fantasierten Teufelsweiber der 68er oder 70er, und schon gar nicht so, wie die superlasziven Pseudolüsternen des 21. Jahrhunderts in der Krone, die sich dort sonntags akrobatisch räkeln, gezeichnet von Jobkünstlerinnen, die sich offenbar nicht vorstellen können, was eine wirklich wollen kann. Zum Beispiel schreiben.
G.B. präsentiert Frauengestalten sozusagen als unvollendete Fragezeichen. Seine Figurinen scheinen irgendwie geistesabwesend, unbedarft und unartikuliert. Nicht dumb, aber doch nahe dran, hinter ihrem Haargestrüpp. So scheint G.B. als intuitiv Fragender, sie eher als Suchende, als soeben Erwachte, zu sehen, die, noch ganz bei sich, weder dem Betrachter in die Augen, noch verträumt in weite Fernen blicken. G.B. zeigt seine Akte weder als reizend noch aufreizend – sie wirken viel mehr mutwillig.
Bei seinem Unternehmen, sich zeichnerisch auch einmal „am Akt“ zu versuchen, greift er auf keine Manier und Gesten der Kunstgeschichte zurück, zum etwaigen Zweck „den beobachtenden Blick“ zu entlarven oder ihn zu karikieren. Auch nicht, um den akademischen „Abendakt“ zu persiflieren. Nein. Seine Akte bedeuten keine Karikaturen von Akten, noch ironische Abwertung oder obsessive Fetische von Frauen, - sondern sind schlicht und leicht hin gezauberte Wesen. G.B. besteht auf dem kindlich naiven Gestus, seine Akte in ungelenkter Neugier und momentan erfahrener Linienführung jedes Mal aufs Neue aus sich heraus zu stellen. Vielleicht, um seine intuitive Beobachtung zu Protokoll zu bringen, wie diese soeben dabei sind, sich in seinem Blick selbst nochmals neu zu erfinden. Um Welche Art von Neuerfindung es dabei geht? Wer weiß.
Die Akte von G.B. praktizieren reine Selbstreferenz und zeigen so eine Art von Intimität, die scheint’s erst mal nur der Ahnung zu entspringen scheint, vielleicht doch einmal anders gewesen zu sein und so gewirkt zu haben? Und wie das gewesen sein könnte, als das Weibliche – dann im männlichen Blick – und vice versa rekursiv oszillierend - für einen langen Augenblick zu sich kam. Wie es aus Notwendigkeit und Fülle gebärend mächtig wurde. Aber (noch) keine von Unterdrückungsgefühlen geplagte empirische Frau, sondern wahr genommen als sakrales Weibliches – als Leben gebend und Wiedergeburt gewährend - und sich dabei lieber schon Gedanken hätte machen sollen, was sie sonst noch will. Doch sie WAR ja, was sie sein wollte und war, was sie - sich in sich selbst teilend und spaltend – sich so von sich unterscheidend - aus sich hervorbrachte, und - so–seiend - sich selbst und alles daraus folgende bestimmte. Was war ist wahr. Und noch keine Kassandra und keine empirische Frau hatte Grund zu warnen und aufzubrechen, um jammernd und zeternd den dialektischen Wechsel und das Zeitalter der Axiomen-Logik, binärer Oppositionen, und ihres Machtverlustes vorauszusagen. Alles hat soeben begonnen und alles ist in seiner ganzen Komplexität schon da. Es scheint mir hier um den zerologischen Augenblick des Erwachens, Unterscheidens, Handelns und Zeiterzeugens zu gehen, ohne noch zu wissen wo es lang geht und schon ist alles entschieden und gleich ein Schöpfungsmythos festgeschrieben. Aus der ersten Unterscheidung folgt alles, was ist. Und der zeitlose Augenblick der ersten Unterscheidung dauert an.
G.B. macht Akte, die wirklich „Akte“ sind. Sie zeigen schräge Kunststücke, vage Handlungen und akribische Aktivitäten, welche gerade nicht zum Akt einladen oder als Vorlage dienen. Akte die also nicht verführen, sondern die aktiv und dabei ganz bei sich sind, im Augenblick des eigenen Gewahrwerdens, im Moment des spielerischen Aufhebens ihrer Selbstvergessenheit. Wer bin ich? Was könnte, im optimalen Fall diese Intuition, dieser männliche Akt - nämlich weibliche Akte wahr zu nehmen, und sie sagen wir mal im doppelsinnigen Augenblick ihres zweiten Debüts zu zeichnen, bedeuten? Sich also ein solches Bild zu machen, wenn wir mal davon ausgehen, dass dieser intuitive männliche Beobachtungsakt ganz und gar nicht misogyn, sondern viel mehr ein Akt der schöpferischen Liebe ist?
Ich bin nicht nur ein Fan von G.B., und ich nehme meine Belustigung und meine Erheiterungen, mein anfängliches Erstaunen und meine Verwunderung über seine Akte und die sich mir anbietende Deutung dieser mir sehr besonderen Zeichnungen zum Anstoß für ein philosophisches Gedankenspiel:
Was, wenn noch gar nicht aller Tage Abend ist? Wenn nicht schon alles gelaufen ist? Wenn noch nicht alles unwiederbringlich in die Sterilität, öde Uniformität und politisch korrekte, quotenfixierte Eintönigkeit der Frauenbewegung und des Gendermainstreamings gemündet wäre, wo Frauen die besseren Männer sind, und wo der Staat, wenn nötig oder gewünscht, eben schon mal den Mann ersetzt? Was, wenn Dialektik gerade wieder im Umkehrschwung begriffen ist, und das Pendel künftig nicht mehr so extrem ausschlägt? Also einen kürzeren Wechsel, - ein Erinnern erlaubt? Das Erinnern, was war, was gerade ist und was sonst noch möglich ist.
Wenn Weiblichkeit nicht das „Andere“ des „Subjekts“, noch geifernde Emanze bedeutet, sondern das sujet zerologique (Kristeva) das unwritten cross (Spencer Brown) vor der ersten Unterscheidung? Oder schon die rückbezüglich operierende Antwort auf seine Frage? Die anmutig widersprechende Gegenrede im heterologischen Umkehrverfahren von Operator und Operand? Das diskursiv changierende Gegenüber des ehemaligen Diskurs-Subjekts? Die intuitive selbstrückbezügliche Beobachtung, nun des doppelsinnigen Übergangs eines sich als unentscheidbar bestimmenden weiblichen Selbstbewusstseins und eines sich dabei auf sich selbst besinnenden männlichen Selbstbewusstseins? Heterarchie, statt Hierarchie? Also wechselnde Chancen der Beobachtung in Schwebe gehaltener Selbstdarstellung, deren Mitteilungen in einer heterarchisch operierenden Asymmetrie? Das je momentane diskursive Ausgeschlossensein als Gelegenheit des Beobachtens, Zuhörens, Verstehens und dessen Übermittlung? Schweigen als Notwendigkeit jeder Asymmetrie. Immer im Ohr eine rekursiv operierende Liebes-Beziehung. Immer im Herzen die erotische Unsäglichkeit des Anderen. Immer im Blick das rückbezügliche Übergehen des einen in das andere. Statt Linearität durch den Einschluss und die Einvernahme des Weiblichen unter das Männliche (vice versa die Subsumption des Männlichen unter das Weibliche) - als quasi verheimlichter gegenseitiger Ausschluss - das Erwachen beider als Erwachsene? Als bewusst Begehrende, das heißt ohne Sexualhormone vorzuschieben und damit die Verantwortung abzugeben? Was, wenn das gegenseitige Erkennen eines sich in sich unterscheidenden Bewusstseins die unabdingbare konditionierte Koproduktion seiner zwei Seiten nun auch bewusst machen, - was könnte sich dadurch entfalten?
Statt defätistischer Stagnation in logischen Dichotomien und destruktiven Argumentationen in binären Gegensätzen und Verharren in ökologischen Unverträglichkeiten, besteht die Möglichkeit, dass die Zweiheit des Bewusstseins als existentielle Notwendigkeit wahr genommen wird. Bewusstsein bleibt ja reine Selbstreferenz, wenn nicht ein Unterschied eingeführt wird. Dieser besteht in der Geschlechterdifferenz. Selbstreferenz funktioniert nämlich nur über Fremdreferenz und die Rekursivität der getroffenen Unterscheidungen. Bewusstsein funktioniert deshalb nur als Doppelbegriff. Es bezeichnet Innen und Außen und ist über Innen und außen im Bilde: es bildet seine innere Differenz im Außen ab, und erhält sie im Inneren seiner von einander unterschiedenen Protagonisten aufrecht. Das heißt Bewusstsein enthält die Zwei-Seiten-Form seiner eigenen Differenz und reproduziert diese nach Außen.
„Triff eine Unterscheidung!“ ist das offene Geheimnis der Schöpfung, - qua Fremdreferenz. Entsprechend den Spencer Brownschen Gesetzen der Form ist eine Unterscheidung, die Markierung und Bezeichnung einer Seite der Unterscheidung. Das bedeutet die notwendige Asymmetrie jeder Beobachtung und damit zugleich die scheinbare Hierarchie jeder Beobachtung. Doch die Oszillation der Beobachtung, innerhalb der oszillierenden Rekursivität der Zwei-Seiten-Form, das heißt der Wiedereintritt (re-entry) jeder der zwei Beobachter in die Form, erlaubt keinerlei Hierarchie, sondern nur zwei Fragen: 1. Was bedeutet es, wenn ein mathematischer Kalkül beweist, dass die Unterscheidung, die Markierung und der Beobachter identisch dasselbe sind und 2. wie lange dauert der asymmetrische Ausschlag des Pendels auf einer Seite? Das heißt wie groß ist der Winkel des dialektischen Ausschlags ab Null? Dialektik bedeutet die Markierung einmal der einen Seite und dann die der anderen Seite. Zwei sind am Wort, aber wechselweise. Dialektisch Hegelisch: „ein Selbstbewusstsein für ein anderes Selbstbewusstsein.“ Genau genommen ein Übergang des einen in das andere. Bewusstsein erzeugt sich in der unendlich möglichen Bewegung der Seltsamen Schleife von Sex und Logik. Bewusstsein hat die Form der Geschlechterdifferenz. Diese dient der Fortzeugung des Unterschieds, und weiterer Unterschiede, und hat damit notwendigerweise die Form der heterogenen Beziehung der Geschlechterliebe. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wird die Ausnahme zur Regel, ist es mit dem Bewusstsein bald aus.
Dekonstruktion resultiert nicht aus der Beliebigkeit des anything goes, sondern ist ein Aspekt jeder Konstruktion und deren Logik. Bewusstsein ist das stete Werden prozessualisierender, reflektierender, einander zustimmender, einander ausweichender, sowie einander kontra gebender differenter Selbste und Selbstbewusstsein(e). Voila. Weibliches Selbst-Bewusstsein und weibliche Logik funktioniert praktisch und poietisch anders, als männliches Selbst-Bewusstsein und männliche Logik. Doch wie sieht dieses „anders“ aus? Wissen wir das schon? Ist schon umfassend beschrieben, was Hegel nicht weiterdenken, und was Freud nicht analysieren konnte und das bislang im Dunkel liegt? Aus Sicht einer selbstreferentiellen transklassischen Distinktionen-Logik (nur scheinbar ein Widerspruch in sich) steht fest: Beider sexuelle und logische Differenz ist unabdingbar und notwendig für das Ex-sistieren von Bewusstsein und für das In-sistieren des Unbewussten. Für die Ex-sistenz von Leben und die In-sistenz der so konstruierten Welt.
Parallel zu „Feminismus“ und „Emanzipation“ hat sich in den 1960er und 1970er Jahren die „ecriture feminine“ eine erste weibliche Theorie der sexuellen Differenz entwickelt. Jaques Derrida, Luce Irigaray, Julia Kristeva, Helen Cixious und 1983 Eva Meyer, haben langsam glosende semiotische Lunten gelegt. Diese können immer noch zu Zündfunken einer weiblichen Avantgarde des Denkens werden, jenseits der semantischen Banalitäten des Feminismus und des politischen Gendermainstreaming.
Mit Eva Meyers Worten eine „schräge Bewegung“ mit „Stil“ – die nach Belieben darauf rekurrieren kann, das kastrierte Geschlecht zu sein. Und wenn die Frau den Stil vergisst? „Zum Beispiel“, bemerkt Eva Meyer, „in der Frauenbewegung, so deshalb, weil ihr Verfahren wesentlich mit dem Vergessen zu tun hat; mit dem Vergessen des Gedächtnisses, das sich im Streit der Meinungen auf die Autorität des Meisters beruft. Das Unternehmen des Weiblichen ist nun gerade folgendes: als gutes Gedächtnis (in der Frauenbewegung) auf der Kastration zu beharren und damit gleichzeitig und gegenläufig auf das Vergessen hinzuweisen. Dies bricht dem Vorwurf Derridas, der Nietzsche liest und schreibt, die Spitze, er verliert den Stil:
„Die Frauenbewegung ist das Verfahren, durch das die Frau dem Mann, dem dogmatischen Philosophen ähneln will, indem sie die Wahrheit, die Wissenschaft, die Objektivität fordert. Das heißt zusammen mit der ganzen männlichen Illusion auch den Kastrationseffekt, der ihr anhaftet. Die Frauenbewegung will die Kastration auch der Frau. Sie verliert den Stil. Nietzsche entlarvt in der Frauenbewegung klar den Mangel an Stil: ‚Ist es nicht von schlechtem Geschmacke, wenn das Weib sich dergestalt anschickt, wissenschaftlich zu werden? Bisher war glücklicherweise das Aufklären Männer-Sache, Männer-Gabe, man blieb damit ‚unter sich’
„Doch, so Eva Meyer, „mit Nietzsche und Derrida, von denen man weiß, was sie von dogmatischen Philosophen und ihrer Wahrheitsfindung halten, beugt sich die Frau auch dieser Beweisführung, denn „vom Mann über den Mann, weiß sie, mit einem Wissen, mit dem keine dogmatische oder leichtgläubige Philosophie sich je wird messen können, dass die Kastration nicht stattfindet.““
„Und, fährt Eva Meyer fort, „wenn sie sich kastriert oder kastrierend zur Komplizin des Mannes macht, so nur, um dieser notwendigen Kehrseite innerhalb des Phallogozentrismus, zu dem Kastration und Antikastration gehören, die Verwerfung zu ermöglichen (...) denn Weibliches ereignet sich vorzüglich – dazwischen.“ (Eva Meyer, Zählen und Erzählen. Für eine Semiotik des Weiblichen. Wien.Berlin 1983. S 112)
Bewusstsein ist konkret gewordene Geschlechterdifferenz. Die Kastration/Nicht-Kastration bzw Besitz des Phallus/Nicht Besitz des Phallus eine sich ständig verwerfende Alternative. Auf der Basis des Gödelschen Satzes der Unentscheidbarkeit ist heute ein antinomisch-fließendes Oszillieren des im Patriarchat aufgehobenen, unter das Männliche subsummierten Weiblichen möglich. Das bedeutet Rückgewinnung und Erlaubnis der Antinomie - als weiblich induziertem Regulator festgefahrener Binärlogik. Und Weiteres: Auf der Basis der Einführung eines dritten (dialektischen) Wertes wird rekursiv operierendes „Werden“ als ständiges Übergehen d.h. gegenseitiges Vermitteltsein der zwei einander unterscheidenden Beobachterseiten sichtbar; auf der Basis der Spencer Brownschen Gesetze der Form, ist ein heterarchisches Verständnis von rekursiver Schließung und operativer Öffnung der Geschlechterbeziehung möglich. Philosophisch gesehen handelte es sich bei diesem Projekt, gewonnen aus den Erkenntnissen der transklassischen Logik und der kybernetischen Forschung, aus weiblicher Sicht um DAS Projekt der Moderne schlechthin: um die Verwerfung der patriarchalischen Subjekt- und Identitätsphilosophie, beziehungsweise den Schritt heraus aus deren vielfältig weiterwirkenden „postmodernen“ Spielarten. Ja, es geht immer noch um die Aufhebung männlicher Definitionsmacht und deren Deutungshoheit über Rede, Narration, Ökologie, Wissenschaft, Weibliches, Frauen und Schöpfungsberichte, und andererseits um die Aufhebung der banalen und brachialen feministischen Monismen von den guten und wahren RetterInnen der Welt und den männlichen „Machern“, die die Welt zu Grunde richten. Denn diese Welt ist zweifellos - im ersten Augenblick der Unterscheidung und in dessen zeitlicher Entfaltung - die konditionierte Koproduktion und das gemeinsame Projekt beider, nämlich zweier sexuell und logisch einander unterscheidender (Selbst)-Bewusstsein(e). In einem „unterschwelligen“ asymmetrischen, sowie heterarchisch vermittelnden Dialogbewusstsein, konstruieren sie (eh und jäh (!)) mit ihren Unterscheidungen und deren Reflexion, eine vermittelte, gemeinsam zu verantwortende Welt, nämlich die, in der wir leben. Diese ist materielle Dichtung und Poesie einer nicht abschließbaren Autopoiesis des Bewusstseins, die wir uns hier, - mit Blick auf Gottfried Bechtolds mutwillige Akte -, gerade eben wieder bewusst machen.
© Sylvia Taraba, 2013